Mehrfache deutsche Marathonmeisterin, Olympiateilnehmerin und Läuferin des Jahres 2023: Domenika Mayer aus der Nähe von Sulzbach-Rosenberg gehört zur deutschen Lauf-Elite.
Doch hinter den Erfolgen von Domenika steckt nicht nur hartes Training, sondern auch der Spagat zwischen Familie, Polizeidienst und Spitzensport. Im Gespräch verrät die 35-Jährige, was sie am Marathon fasziniert, wie sie Körper und Kopf in Balance hält – und warum Marathon mehr als nur ein Rennen ist.
Wann hast du gemerkt, dass Laufen mehr als nur ein Hobby für dich ist?
So richtig kam das mit dem Zeitmangel nachdem ich meine Kinder bekommen habe – da war ich 29 Jahre alt. Ich habe davor immer schon viel zu viel gemacht. Ich war gern in den Bergen, Klettern, hab mit Freunden Volleyball gespielt, … Das hat sich dann radikal aufs Laufen reduziert, weil das gut in den Babyschlafpausen funktionierte. Durch die Routinen ging es auch schnell mit der Leistung bergauf, und ich hatte das erste Mal Zeiten, mit denen ich bei der deutschen Spitze mithalten konnte. Meinen ersten Marathon bin ich 2022 mitgelaufen – da war ich direkt deutsche Meisterin. Eigentlich gab es eine andere haushohe Favoritin und alle dachten, dass sie gewinnen wird. Ich war dann aber überraschenderweise ganz vorne.
Was catcht dich so am Laufen und am Marathon?
Es ist für mich einfach unglaublich viel Freiheit, die ich da erleben darf. Das holt mich so oft aus dem Alltag raus. Auch bei so Schmuddelwetter, wie jetzt im Herbst, würde ich ohne Laufen wohl nicht vor die Tür gehen. Man kommt weg von den wichtigen Aufgaben im Alltag. Beim Marathon ist auch die Atmosphäre im Wettkampf etwas ganz besonderes. Bei einem 10-Kilometer-Rennen oder einem Halbmarathon kommt ganz oft das Konkurrenzdenken auf; aber beim Marathon gibt es vorher so viel mehr offenen Fragezeichen und auch während dem Rennen kann viel mehr passieren, was man nicht in der Hand hat, so dass man allen anderen wünscht, dass alles funktioniert. Es ist einfach mehr Zusammenhalt und Gemeinschaft beim Marathon – das finde ich im Vergleich zu allen anderen Disziplinen richtig toll.
Wie sieht eine typische Trainingswoche bei dir aus?
Jede Woche sieht anders aus. Grundsätzlich bin ich jemand, der relativ wenig Kilometer läuft – im Schnitt 140 Kilometer in der Woche, wenn es gut läuft. Dabei mache ich regelmäßig Longruns, also Läufe über 30 Kilometer, einmal in der Woche laufe ich meine Marathon-Geschwindigkeit von 3,24 min/km, außerdem gibt es auch Wochen mit Läufen auf der Bahn, also 1000 Meter zum Beispiel. Ich mache hauptsächlich Dauerläufe – mal langsamer, mal schneller. Ungefähr alle elf Tage lege ich einen Ruhetag ein. Abseits vom Laufen mache ich aber keinen anderen Ausdauersport. Hinzu kommt nur noch Athletiktraining und Yoga, also Mobilitytraining, alle zwei Tage.
Welches „Geheimtraining“ machst du, das viele vielleicht gar nicht mit Marathon verbinden würden?
Schlafen! Schlafen ist so etwas wichtiges, was oft unterschätzt wird. Das hab ich beim Berlin-Marathon im September auch wieder gemerkt, als ich mich gewundert habe, warum ich nicht meine volle Leistung abrufen kann: Wenn ich ein paar Tage vor einem Wettkampf schon anreise und in einem Hotel übernachte, gehe ich oft früher ins Bett und schlafe länger. Mein Schlaf ist dann ganz durcheinander und dadurch bin ich nicht mehr so leistungsbereit. Regelmäßig zu schlafen ist ein echter Gamechanger. Das gilt auch am Wochenende – da muss man sich dann auch mal einen Wecker stellen. Gleiches gilt fürs Trinken. Das sind so Kleinigkeiten, die einfach den Unterschied machen.
Zweifache Mutter, Polizeibeamtin und Profi-Läuferin – wie schaffst du es, alles unter einen Hut zu bekommen?
Gar nicht, ehrlich gesagt (lacht). Ich hatte diesen Sommer auch zum ersten Mal das Phänomen, dass ich nicht mehr so leistungsfähig war. Ich hatte in der Arbeit viel zu tun und noch ein zusätzliches Projekt dazu, gleichzeitig werden meine Töchter älter und haben mehr Ansprüche, streiten auch mehr – diese Konflikte auszutragen, stresst mich als Mama sehr. Zu dieser Zeit steckte ich mitten im Marathontraining, hinzu kam eine leichte Verletzung und dann war mein Körper nicht mehr bereit so viel zu leisten. Dann kam auch noch Pfeiffersches Drüsenfieber hinzu. Man hat das Ganze dann nicht in der Hand und muss auch auf Pausen achten – das darf man nicht unterschätzen. Manchmal schaffe ich´s dann eben und manchmal nicht. Man darf sich auch einfach nicht zu sehr stressen lassen.
Was motiviert dich an Tagen, an denen du am liebsten im Bett bleiben würdest?
Ich glaube, das Bild vom Großen und Ganzen. Ich habe einen Trainingsplan und den ziehe ich durch. Ich weiß auch, wie es mir beim Wettkampf geht, wenn ich zum Beispiel vorher einen Longrun auslasse. Leute, die nicht so gut trainieren, leiden beim Marathon – die beneide ich nicht. Bei 10-Kilometer-Läufen merke ich auch immer, dass ich zu viel für den Marathon trainiere und die kurzen Einheiten beim Training außer Acht gelassen habe. Manchmal frage ich mich schon, warum ich das mache. Aber ich weiß, wenn ich eine Einheit auslasse, rächt es sich später. Und jedes Training ist eine Chance, besser zu werden.
Wie wichtig ist für dich die Ernährung – achtest du immer darauf, was du isst?
Für uns Marathonläufer ist es vor allem wichtig, dass wir genug essen – vor dem Sport und auch danach müssen die Speicher wieder aufgefüllt werden. Das ganze Training, das wir machen müssen, zehrt den Körper aus. Ich lasse auch regelmäßig ein Blutbild entnehmen und weiß daher, was ich essen muss. Das ist sehr gesund, aber auch Nudeln und Kartoffeln, also Flexi-Kohlenhydrate sind wichtig. Wenn ich im Marathon-Training bin, kann ich auch jeden Tag Kuchen essen, weil ich die Kalorien eh verbrenne. Es ist für mich auch in Ordnung, dass es Tage gibt, die nicht nach Fitnessteller aussehen. Ich achte nur darauf, dass ich genug Kalorien zuführe. Aber meine Einstellung ist auch eher „pro buntes Essen“ – also Gemüse und Obst. Wenn ich koche und alle Farben dabei sind, bin ich glücklich.
Trainierst du bewusst mental, zum Beispiel mit Visualisierung oder Achtsamkeit?
Ich habe vor Kurzem angefangen mit einem Mentaltrainer zu arbeiten – da gibt es verschiedene Techniken. Ich hatte ein bestimmtes Thema und das war die Angst vor dem Wettkampf, also Nervosität. Bei mir ist das sehr ausgeartet und ich habe beispielsweise vorher nicht in den Schlaf gefunden. Ich mache aber auch jeden zweiten Abend eine halbe Stunde Yoga, also im Grunde Übungen für die Dehnbarkeit. Das entspannt unglaublich.
Gibt es einen Punkt im Rennen, an dem du mentale Tricks einsetzt, um weiterzumachen?
Ja, ich erinnere mich an ein Rennen, da hatte ich eine Verletzung und dadurch Schmerzen beim Laufen. Da habe ich den Schmerz nicht ignoriert, sondern eingeladen und gesagt: Wir rennen jetzt bis zum Schluss zusammen. Das heißt, ich achte auf meinen Laufstil und lenke mich nicht ab – ich koordiniere also zum Beispiel bewusst die Arme und Beine. Ich habe auch bei jedem Marathon ein Lied, das mich durch die Vorbereitungen getragen hat. Daraus nehme ich eine Zeile oder Strophe und versuche, diese zu reproduzieren. Das mache ich meistens gegen Ende, wenn ich nicht mehr denken kann oder will. Gleichzeitig versuche ich die Energie von den Zuschauern aufzunehmen und auch mal deren Lachen aufzusaugen und wahrzunehmen. Ich nehme auch beispielsweise keine Uhr mit, weil ich mich ansonsten stressen würde, wenn ich merken würde, ich bin ein bisschen zu langsam. Es kommen auch wieder gute Zeiten während dem Lauf – da sollte man sich in der Situation von negativen Gedanken nicht runter ziehen lassen.
Wie kalkulierst du Tempo und Energie über 42 km? Du kommst ja am Ende doch auch oft bei einer sehr ähnlichen Zeit raus.
Drei bis vier Wochen vor einem Marathon lasse ich eine Leistungsdiagnostik machen. Wir schauen uns dabei an, was ich theoretisch laufen kann – dabei liegen auch meine Trainingswerte vor. Dann gilt es, die Schwelle zu treffen, bei deren Tempo ich ewig laufen kann und wo die Muskeln nicht übersäuern. Der Plan ist, den Marathon langsam also entspannt zu starten, weil man jede Sekunde, die man anfangs schneller ist, hinten raus wieder fünffach verliert. Dafür habe ich ein oder zwei Pacemaker, die vor mir herlaufen, dabei. Deren einzige Aufgabe ist es, mich anfangs zu bremsen und später mitzuziehen. Für mich ist es hilfreich, jemanden dabei zu haben, der mich da durch führt.
Was denkst du dir wirklich in den letzten Kilometern?
Während der letzten Kilometer denkt man sich nur, dass man gleich da ist und es geschafft hat. Ab Kilometer 37 ist es wirklich nicht mehr weit und ich weiß, dass ich heute ins Ziel komme. Als Profiläufer ist 37 auch die magische Grenze, ab der man zu einem späteren Zeitpunkt nochmal einen Versuch starten kann. Viel härter sind die Kilometer ab 25 bis zu diesem Punkt. Da denke ich mir: Ich bin so müde. Es ist noch so weit. Es ist nicht mein Tag. Ich schaffe das nicht, was ich mir vorgenommen habe. Und man denkt von Getränkestation zu Getränkestation. Also in etwa: Noch drei Stationen, dann habe ich es geschafft.
Wie recoverst du nach einem Marathon?
Ziel angekommen ist, sich zunächst verpflegen soll: Shakes, Aminosäuren und so weiter. Du kannst aber auch einfach Bananen essen. Ich kann meistens danach nichts anderes essen als blanke Nudeln. Der Schlaf am Marathontag fällt meistens aus, weil ich so Schmerzen in den Beinen habe. Die Tage danach muss man dafür sorgen, dass die Beine durchblutet bleiben. Nur Ausruhen ist dabei nicht gut, weil die Schmerzen dann zu stark sind. Aquajoggen oder Radfahren ist da gut, um das Blut in Schwung zu bringen, aber die Sehnen und Bänder nicht zu belasten. Die zwei Wochen nach einem Marathon bewege ich mich also, wie ich mich gerade fühle. Da habe ich auch Tage, an denen ich sage: Heute habe ich keine Lust was zu machen. Schlaf und gut essen ist ebenso wichtig. Außerdem darf man beim Marathon nicht unterschätzen, darauf zu achten, dass man danach nicht in ein emotionales Loch fällt. Ich nehme mir also sozial viel vor – mit meinen Kindern, der Familie, Freunden. Es darf keine innere Leere aufkommen.
Gibt es einen Lauf oder ein Erlebnis, das dir emotional besonders in Erinnerung geblieben ist?
Die olympischen Spiele 2024 in Paris auf jeden Fall – positiv und negativ. Die Stimmung auf dem ganzen Lauf war toll. Die Gemeinschaft unter den Fans und Zuschauern war einmalig. Alles war so groß und meine Nervosität hoch drei. An dem Tag hatte ich keinen guten Marathontag und war super enttäuscht. Von der Vorbereitung her war ich total gut drauf, aber ich war nicht so schnell, wie ich dachte. Es war nicht einfach, das zu verarbeiten. Am Ende war ich einfach durcheinander, weil die ganzen negativen Emotionen mit den positiven gepaart kamen.
Was hast du über dich selbst durchs Laufen gelernt?
Ich habe gelernt, zufrieden zu sein, mit dem was man macht. Beim Marathonlaufen führen extrem viele Systeme zum Erfolg. Oft schaut man nach links und rechts und denkt sich, man könnte das noch besser oder etwas zusätzlich machen, aber das geht oft schief. Besser ist es, auf den Weg zu vertrauen, den man eingeschlagen hat.